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Ausstellungsberichte

Deep Blue: „New Realities“ im Rijksmuseum

Noch bis zum 17. September befasst sich die Ausstellung ‚New Realities’ mit der fotografischen Sammlung des Amsterdamer Rijksmuseums. Das Projekt hat ein breites Medienecho erzeugt, ist die Fotografie doch erst seit Mitte der 1990er-Jahre Gegenstand des Sammelinteresses. Dies verwundert angesichts der kulturhistorischen Ausrichtung des Museums. Dennoch ist die fotografische Sammlung inzwischen längst international konkurrenzfähig.

Dass man sich darum bemüht, Akzente zu setzen, macht die Schau deutlich, in deren Zentrum Anna Atkins’ Werk ‚British Algae: Cyanotype Impressions’ von 1843/44 steht, das als weltweit erstes Fotobuch gilt und gleichzeitig die Leistung einer Foto-Pionierin vorstellt. Das Museum konnte 2017 eines dieser fotogrammatischen Herbarien erwerben und nimmt den Neuankauf zum Anlass, die verschiedenen Facetten der frühen Fotografie auszuloten. Dem Medium Fotografie versucht die Ausstellung gerecht zu werden, indem sie ihre materielle wie thematische Varietät zeigt und versucht, neue Perspektiven zu öffnen. In meinem Beitrag widme ich mich vor allem dem diffizilen Verhältnis der Fotografie zur Naturabbildung.

Der hervorragend ausgestattete und edierte Katalog stellt Atkins‘ Cyanotypien großformatig voran und nimmt damit die durchaus mutige kuratorische Entscheidung auf, einer bisher marginalisierten Position eine prominente Rolle zuzuweisen.  Keep Reading

Ausstellung: Germaine Krull (Berlin bis 31.1.16)

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Germaine Krull: Métal, 1928

Zwei Dinge, die ich an der Ausstellung bemerkenswert fand: Gut ist, zumindest einge aufgeschlagene Bücher und Zeitungsseiten sehen zu können, denn das ist die Form in und für die Krull gearbeitet hat: Typografie, Montage und Narrativierung sind Teil des fotografischen Projekts. (Die Ausstellung bleibt leider am Vintage-Objekt hängen; warum nicht ein Video, in dem die Bücher durchgeblättert werden? Eine digitale Version?) Außerdem wird die feministische Verve Krulls irre fassbar: autofahren, rauchen, Frauen fotografieren. Ihre berühmt gewordenen Porträts späterer Berühmtheiten und die Fotografien, die zu Parismythosmotiven geronnen sind – Eiffelturm in Untersicht, Schaufensterpuppen, clochards, marché aux puces –, haben fast verdeckt, dass Krull z.B. für Vu eine wunderbare Reportage über Arbeiterinnen gemacht hat, in der es irgendwie um Hände geht (1932).

Die Ausstellung wurde von Michel Frizot für das Jeu de Paume konzipiert, ist bis 31.1.16 im Martin-Gropius-Bau zu sehen (Katalog).

Selfies on Display: Nun auch im White Cube

Heute wird in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe die Ausstellung von Rembrand zum Selfie eröffnet: Das Museum öffnet dem Selfie seine Pforten, indem es die Geschichte des Selbstporträts als Rahmen anbietet. In diskursiver Form ist diese Verbindung natürlich schon längst gezogen worden, früh und in der prominentesten Form in einem kunsthistorischen Essay von Jerry Saltz, ohne den kunsthistorischen Rattenschwanz auch schon 2013 von Noah Berlatsky. Eine Kolumnistin der Zeitung Guardian, Jessie Judge, fühlt sich durch den Vergleich mit Rembrandts Selbstporträts bemüßigt dafür zu plädieren, dass wir mehr reflektierte, ‚ehrliche‘ Selbstergründungen brauchen als eine Flut von geknipster Selbstbesessenheit: „The selfie threatens to distract us from what Rembrandt did: looking at ourselves closely, honestly, but compassionately“. Sie argumentiert, nicht unbegründet, dass das Selfie kein Selbstporträt sei, erhebt aber eben dies zum Symptom einer Krise: Mehr Selbstporträts also, weniger Selfies. Der Fotografiephilosoph Daniel Rubinstein wiederum hebt gerade das Spielerische, die schlichte Abbildung Transzendierende, ja gerade das Verlogene hervor, um für den Kunstcharakter des Seflies zu plädieren: Das Selfe ist das erste Kunstwerk des Netzwerkzeitalters, weil es sich nicht mit Beschreibung, Repräsentation oder Imitation zufriedengibt“, schreibt er im Katalog zu einer zweiten aktuell laufenden Ausstellung, die sich im Düsseldorfer Kunstformum NRW exklusiv dem Selfie widmet. Unter dem Label „Ego Update“ fahndet diese Ausstellung nicht nach der Vorgeschichte des Selfies, sondern nach der „Zukunft der digitalen Identität“. 

Doch warum sucht man die digitale Identität nicht dort, wo sie konstruiert, gelebt und kommuniziert wird, also online, sondern in den gediegenen Räumen eines Museums? Ob man dem Selfie damit einen Gefallen tut, es aus seinen alltäglichen Zusammenhängen in der Onlinekommunikation zu reißen und in etablierte Kunsträume zu hängen, möglicherweise noch in Zusammenhang zu einem etablierten künstlerischen Genre, scheint mir diskutabel. Der „white cube“ von Galerien und Museen stellt eine radikal andere Form des „Sharing“ dar als die Plattformen des Social Web. Was passiert mit dem Selfie im Museum – transformiert es sich dort in ein Porträt oder zeigt es dort eher an, dass es diesem Anspruch nicht genügt – oder sich ihm nicht fügt?

In aller Regel stellen Selfies nun mal nicht Dauerhaftigkeit beanspruchende Ergründungen einer Person dar, sondern bilden Elemente einer Reihe von Kommunikationen auf einer Online-Plattform, in der einer Nachricht eine andere Nachricht abfolgt, ein Bild das nächste ersetzt. Das Selfie fungiert normalerweise als zeit- und ortsspezifische Aussage und Kommunikationssauforderung: „Ich bin hier“, wie es der Titel der Karlsruher Ausstellung erstaunlicherweise als übergreifendes Motto auch des Selbstporträts in Anschlag bringt. Aber auch weiter: Was sagt Ihr dazu? Und wo seid Ihr? Was macht Ihr gerade? Wart Ihr auch schon mal hier? Wenn sich so etwas wie Identität ergeben sollte, dann am ehesten noch wie beim Wiederlesen eines Tagebuchs, das auch disparate, aus dem Moment entstandene Eindrücke verschriftet, um Keep Reading

Ausstellung „Fette Beute – Reichtum zeigen“, Hamburg

Jürgen Teller, Werbung für Phillips de Pury & Co, 2005
Jürgen Teller, Werbung für Phillips de Pury & Co, 2005

Im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg hat Esther Ruelfs eine Ausstellung zu Reichtum kuratiert. Oder genauer: zur Repräsentation von Reichtum. Es ist eine Fotografie-Ausstellung, aber Esther Ruelfs nimmt auch Film, Fernsehen und Blogs dazu. Das ist doppelt gut, weil es das Fotografische als verstreutes Medium versteht und außerdem zeigt, dass Reichaussehen etwas ist, das auf vielen Kanälen Betrachter/innen, Beobachter/innen, Zuschauer/innen (und Ausstellungsbesucher/innen) braucht.
Zu sehen sind z.B. frühe Fotografien von Steichen, auf denen weiß gewandete Rennbahnbesucherinnen wie Geister durch die Szenerie schweben. Diese Geister zeigen sich viel später bei Martin Parr noch einmal: Kleidung und Habitus der heutigen Reichen orientieren sich am Gestrigen, das macht die Angelegenheit so erstarrt und deprimierend. In einer schönen Serie hat Jim Goldberg in den 1970er Jahren Reiche und Arme porträtiert und ihre Porträts kommentieren lassen – schon die Handschriften sprechen Bände. In ihrer Normativität ganz irre sind auch die Jugendlichen in „Kids + Money“, die Lauren Greenfield von ihrem Repräsentationstress erzählen. Am Ende hat man doch den Eindruck, dass Luxus und Exzentrik – ja durchaus produktive Spielarten von Reichtum – nur bei den kongolesischen Sapeurs zu finden sind. Und die sind gar nicht reich. Bis 11.1.15 Fette Beute – Reichtum zeigen

Gibt es analoges Leben im Digitalen?

Patrick Bailly-Mâitre-Grand, „Anneaux d’eau“ (Teil einer Serie von 5 Bildern), 1997

Rückblick auf einen Ausstellungssommer. In Straßburg im Musée d’Art Moderne et Contemporain war und ist noch (bis zum 19. Oktober 2014) Patrick Bailly-Maiître-Grand mit der Ausstellung „Colles et Chimères“ zu sehen. Keine Kunstfotografie, aber auch keine Kunst mit Fotografie, sondern eher eine fotografische Ergründung des Fotografischen als Kunst. Seit Beginn der 1980er Jahre experimentiert Bailly-Maître-Grand mit den chemischen Verfahren der Bilderzeugung und lotet deren bildgenerierende Möglichkeiten aus. Ein in der Ausstellung gezeigtes Video eröffnet einen Blick in die Dunkelkammer, der Verfahren wie die Solarisation oder Viragierung anschaulich erklärt. Angesichts der Bandbreite der Bildergebnisse ist die Selbstbeschränkung auf photochemische Verfahren hervorzuheben, die auf faszinierende Weise indexikalischen und ikonischen Realitätsbezug mit der (Eigen)Dynamik der technischen Verfahren zusammenbringen. Die Ankündigung der Ausstellung findet es denn angesichts des technisch verfremdeten Blicks nötig klarzustellen, dass der Künstler „l’empreinte du réel de l’analogique […] «l’emprunt au réel» du numérique“ vorziehe, das es sich also nicht um digitale Bilder handelt. Das zeigt an, wie sehr sich die Bedeutung dieser Form der fotokünstlerischen Praxis verändert hat, seit das digitale Bild in wenigen Jahren die analoge Fotografie – ähnlich wie die CD die LP – zu einem nostalgischen Vorhaben gemacht hat. Einen Zug ins Nostalgische zeigen schon Bailly-Maître-Grands Arbeiten aus den 1980er Jahren, die Viragierung und Daguerreotypie wiederbeleben, heute jedoch etwas angejahrt, wenn nicht gar kitschig wirken. Heute reicht schon das Festhalten an den schwarz-weißen Silbersalzen, Keep Reading

Ware & Wissen – Weltkulturen Museum Frankfurt/M.

Martin Gusinde: Ohr, Anthropos Institut St. Augustin, Weltkulturen Museum
Martin Gusinde: Ohr, Anthropos Institut St. Augustin, Weltkulturen Museum

Das Weltkulturen Museum reflektiert sich selbst, d.h. Geschichte und Sammlung eines ethnologischen Museums. Das ist angebraucht und überfällig, gerade weil in Berlin das Humboldt Lab sich anschickt, ein irgendwie aktuelle Präsentation ethnologischer Artefakte zu konstruieren. Aber wie soll das gehen? Man müsste den kolonialen Kontext, die schiefen Besitzverhältnisse, die Geschichte der Reisen und ihrer Verwicklungen schon mitausstellen. „Ware & Wissen (or the stories you wouldn’t tell a stranger)“ versucht das. Dazu sind u.a KünstlerInnen eingeladen worden (Peggy Buth, David Weber-Krebs), in den Archiven zu arbeiten. Es geht viel um Fotografie, denn Fotografie ist ein ethnologisches Forschungsverfahren, besonders auch ein anthropometrisches: Körpervermessungen, Körperinspektionen en masse. Wozu? Das Versprechen von eindeutigen Rasse- und Geschlechtsbestimmmungen unterhöhlt sich selbst. Missionare haben Fotoarchive angelegt, Männer posieren auf Stühlen gestützt im Freien. Wozu? Eine Imagination und Projektion zugleich, so sieht das heute aus. Und das Museum selbst fotografiert auch, nämlich die Objekte, die es sammelt. Vor farbigen Hintergründen, mal in dramatischer, mal neutraler Beleuchtung. Objektfotografien habe ich noch nie so aufschlussreich gefunden.

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Fotografien der Sammlung, Ausstellungsraum Weltkulturen Museum, Foto: Wolfgang Günzel, 2013

(Mis)Understanding Photography – Ausstellung in Essen

(Mis)Understanding Photography ist Florian Ebners zweite große Ausstellung als Leiter der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang (nach „Kairo. Offene Stadt. Neue Bilder einer andauernden Revolution“, siehe, ein wenig auch in eigener Sache, Gespräch in der Zeitschrift für Medienwissenschaft).
Die Ausstellung zeigt, ich würde sagen, konzeptuelle und medienreflexive Fotografie seit den 1970er Jahren. Darunter, lässig eingestreut, Arbeiten von Ed Ruscha und Richard Prince. Bildersammlungen sind ein Schwerpunkt (sehr schön: Viktoria Binschtok über Ebay-Objektfotografie), auch Reenactments und De-Informierung von Pressefotos kommen immer wieder vor. Teilweise wird es ziemlich amüsant. Außerdem eine Ausstellung in der Ausstellung: Manifeste und Programmschriften, die erstaunlich lesbar an locker gestellte Wände bzw. Sperrholzarchitekturen gekommen sind (und ja, Renzo Martens hat ein Manifest gedreht). Ein Text von Mel Bochner hat den Titel geliefert, wer mag, kann auch McLuhan raushören.
Die Manifeste werden noch veröffentlicht, die Ausstellung breitet sich bis zum 17.8. gut gehängt und so verschachtelt, wie es zum Thema passt, in der großen Ausstellungshalle aus.

Kenneth Josephson New York State Museum Folkwang, Essen
Kenneth Josephson, New York State, 1970

Paparazzi Fotografie

indexPaparazzifotografie ist einer der Bereiche, in denen die mit analoger Fotografie verbundene Beweiskraft immer mit kommuniziert wird. Die Körnigkeit und Materialität des Bildes ist hier nicht Manko, sondern wesentlich. Verpixelungen sucht man hier bislang noch vergebens.

Eine von Clément Chéroux für das Centre Pompidou in Metz kuratierte Ausstellung untersucht die Bildkultur der Paparazzifotografie, insbesondere auch die Bildformen, die Gesten der fotografisch Ertappten und die Geschichte der Bildformen. In einem zweiten Teil werden die kulturellen Spuren der Bildpraxis in der Kunst nachgezeichnet. Erfreulicherweise kommt diese Ausstellung auch nach Deutschland. Vom 27. Juni bis 12. Oktober 2014 wird sie in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zu sehen sein. Allerdings ist auch das Centre Pompidou in Metz eine Reise wert. Und wer nicht reisen kann, sollte sich zumindest den Katalog ansehen – die bisher fundierteste Publikation zum Thema.

Ein Nachrichtenbeitrag der Tagesschau findet sich hier:

http://www.tagesschau.de/kultur/paparazzi104.html