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Evelyn Runge

Wissenschaftliche Mitarbeiterin | Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur | Stiftung Universität Hildesheim | https://www.uni-hildesheim.de/en/fb2/institute/medien-theater-populaerekultur/mitglieder/dr-evelyn-runge/

Fotografie im Reise- und Motorjournalismus

 

Reisen und Fotografie – eine terra incognita? CC0-License, Dariusz Sankowski, unsplash.com

„Die Erfindung der Fotografie beginnt mit einer Reise – und einer Ent­täuschung. William Henry Fox Talbot stellt 1833 am Ufer des Comer Sees in Italien fest, dass er das, was er sieht, nicht zeichnen kann. Anders seine Frau und seine Schwestern. Weder die Camera Lucida noch die Camera Obscura, die Talbot zehn Jahre zuvor als Zeichenhilfe ausprobiert hatte, führten zu befriedigenden Ergebnissen. Talbot fragte sich, wie er das Gesehene fixieren könne, diese ‚inimitable beauty of the pictures of nature’s painting which the glass lens of the Camera throws upon the paper in its focus‘ (Talbot o. J.). So war die Idee der Fotografie geboren.“ (Haarkötter/Runge 2016, S. 41)

Die Fotografie des 19. Jahrhunderts war lange eine Fotografie der reisenden Forscher und Expeditionsleiter und weniger eine Fotografie der Amateure. Ihre Erfindung fiel in denselben Zeitraum wie die wachsende Mobilität der Massen, die sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Industrialisierung, die Eisenbahn und die Gründung erster Reisebüros entwickelte. In der Forschung ist die Fotografie als elementarer Bestandteil des Reisejournalismus und später des Motor- und Mobilitätsjournalismus bislang wenig beachtet worden. Das ist umso erstaunlicher, da erstens gerade der Reise- und Motorjournalismus in der Kritik stehen, eng verknüpft mit Interessen der Tourismus- und Autoherstellerbranche zu sein und sich hier vielfältige Forschungsfragen für die Medien- und Kommunikationswissenschaft bieten. Zweitens stellen sich Fragen nach dem Status von Amateurbildern von Reisen im Internet – im Anschluss an Hans Magnus Enzensbergers berühmte „Theorie des Tourismus“. Er hatte bereits 1958 kritisch darauf hingewiesen, wie der Reisende zum inoffiziellen Mitarbeiter der Tourismusindustrie wird. Die Motive, die er selbst fotografiert und zuhause zeigt, reproduzieren Stereotypen: „Die bunten Aufnahmen, die der Tourist knipst, unterscheiden sich nur in den Modalitäten nach von jenen, die er als Postkarte erwirbt und versendet.“ (Enzensberger 1962, S. 166)

Wie empfindlich übrigens Rezipienten darauf reagieren, wenn Sehgewohnheiten und visuelle Stereotype über Reisen gebrochen werden, musste Martin Parr feststellen: Seine Fotoserie „Last Resort“ (1985) aus dem Seebad New Brighton in Großbritannien bricht bewusst mit der positiv-affirmativen Visualisierung von Tourismus. Rezipienten warfen ihm daraufhin Despektierlichkeit vor. Heute werden Parrs Aufnahmen aus New Brighton in Museen ausgestellt – und gehen als Postkarten selbst auf Reisen.

Zum Weiterlesen:

Die Neuerscheinung, unter anderem zum Thema Fotografie im Reise- und Motorjournalismus: Hektor Haarkötter/Evelyn Runge: „Motor/Reise. Basiswissen für die Medienpraxis“, Journalismus Bibliothek 12, Herbert von Halem Verlag, Köln 2016.

Der Klassiker: Hans Magnus Enzensberger: Eine Theorie des Tourismus. In: Hans Magnus Enzensberger: „Einzelheiten“, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1962, S. 147-170.

Zum Weiterschauen:

Beispiele aus der historischen Reisefotografie, etwa aus dem Nahen Osten, sind in den Datenbanken des Bildarchivs Foto Marburg und im Bildindex der Kunst und Architektur zu finden.

Martin Parrs Fotoserie „Last Resort“ (1985) in der Datenbank von Magnum Photos.

„Ökonomie der Fotografie: Beobachtungen zum globalen Markt der Bilder“

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© Peggy_Marco, CC0-Lizenz, pixabay

Seit Anfang der 1990er Jahre ändert sich der Markt der Bilder rasant – die Digitalisierung ermöglichte es, schnellere Produktions- und Distributionsstrukturen für Fotografien und Bewegtbilder zu etablieren. Zunehmend verwischen die Grenzen zwischen professionellen Fotografen und Amateuren: Internet-Plattformen und Social Media-Nutzung verändern die Arbeit von Fotografen und Fotojournalisten. Mitunter werden Amateurfotografen zu ihrer Konkurrenz, sowohl im News- als auch im Stockfoto-Bereich. Die Arbeitsbedingungen für Fotografen und Fotojournalisten sind nicht einfach, Honorare für journalistische Fotografie nicht üppig, und auch die Finanzierung von Langzeitprojekten und/oder aufwändigeren Reportagereisen wird nicht unbedingt von den Auftraggebern übernommen. In meinem Artikel „Ökonomie der Fotografie: Beobachtungen zum globalen Markt der Bilder“, erschienen in MEDIENwissenschaft 03/2016, zeige ich exemplarisch die Entwicklungslinien des globalen Bildermarkts und der Ökonomie der Fotografie auf. Fallbeispiele sind Getty Images, Corbis, die Flickr-Collection by Getty Images und Crowdfunding-Modelle für Fotoreportagen. Der Beitrag ist Teil meines Forschungsprojekt „Image Capture. Arbeits- und Produktionsbedingungen von Fotojournalisten im digitalen Zeitalter“.

Der vollständige Beitrag ist erschienen in: MEDIENwissenschaft 03/2016, Rubrik „Perspektiven“, S. 274-296. Download hier.

Weitere Informationen zu meinem Forschungsprojekt „Image Capture. Arbeits- und Produktionsbedingungen von Fotojournalisten im digitalen Zeitalter“ entnehmen Sie bitte der Rubrik „Forschung“ der Fachzeitschrift Fotogeschichte, Heft 138, 2015, S. 75, sowie online hier.

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© fudowakira0, CC0-Lizenz, pixabay