Selfies on Display: Nun auch im White Cube

Heute wird in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe die Ausstellung von Rembrand zum Selfie eröffnet: Das Museum öffnet dem Selfie seine Pforten, indem es die Geschichte des Selbstporträts als Rahmen anbietet. In diskursiver Form ist diese Verbindung natürlich schon längst gezogen worden, früh und in der prominentesten Form in einem kunsthistorischen Essay von Jerry Saltz, ohne den kunsthistorischen Rattenschwanz auch schon 2013 von Noah Berlatsky. Eine Kolumnistin der Zeitung Guardian, Jessie Judge, fühlt sich durch den Vergleich mit Rembrandts Selbstporträts bemüßigt dafür zu plädieren, dass wir mehr reflektierte, ‚ehrliche‘ Selbstergründungen brauchen als eine Flut von geknipster Selbstbesessenheit: „The selfie threatens to distract us from what Rembrandt did: looking at ourselves closely, honestly, but compassionately“. Sie argumentiert, nicht unbegründet, dass das Selfie kein Selbstporträt sei, erhebt aber eben dies zum Symptom einer Krise: Mehr Selbstporträts also, weniger Selfies. Der Fotografiephilosoph Daniel Rubinstein wiederum hebt gerade das Spielerische, die schlichte Abbildung Transzendierende, ja gerade das Verlogene hervor, um für den Kunstcharakter des Seflies zu plädieren: Das Selfe ist das erste Kunstwerk des Netzwerkzeitalters, weil es sich nicht mit Beschreibung, Repräsentation oder Imitation zufriedengibt“, schreibt er im Katalog zu einer zweiten aktuell laufenden Ausstellung, die sich im Düsseldorfer Kunstformum NRW exklusiv dem Selfie widmet. Unter dem Label „Ego Update“ fahndet diese Ausstellung nicht nach der Vorgeschichte des Selfies, sondern nach der „Zukunft der digitalen Identität“. 

Doch warum sucht man die digitale Identität nicht dort, wo sie konstruiert, gelebt und kommuniziert wird, also online, sondern in den gediegenen Räumen eines Museums? Ob man dem Selfie damit einen Gefallen tut, es aus seinen alltäglichen Zusammenhängen in der Onlinekommunikation zu reißen und in etablierte Kunsträume zu hängen, möglicherweise noch in Zusammenhang zu einem etablierten künstlerischen Genre, scheint mir diskutabel. Der „white cube“ von Galerien und Museen stellt eine radikal andere Form des „Sharing“ dar als die Plattformen des Social Web. Was passiert mit dem Selfie im Museum – transformiert es sich dort in ein Porträt oder zeigt es dort eher an, dass es diesem Anspruch nicht genügt – oder sich ihm nicht fügt?

In aller Regel stellen Selfies nun mal nicht Dauerhaftigkeit beanspruchende Ergründungen einer Person dar, sondern bilden Elemente einer Reihe von Kommunikationen auf einer Online-Plattform, in der einer Nachricht eine andere Nachricht abfolgt, ein Bild das nächste ersetzt. Das Selfie fungiert normalerweise als zeit- und ortsspezifische Aussage und Kommunikationssauforderung: „Ich bin hier“, wie es der Titel der Karlsruher Ausstellung erstaunlicherweise als übergreifendes Motto auch des Selbstporträts in Anschlag bringt. Aber auch weiter: Was sagt Ihr dazu? Und wo seid Ihr? Was macht Ihr gerade? Wart Ihr auch schon mal hier? Wenn sich so etwas wie Identität ergeben sollte, dann am ehesten noch wie beim Wiederlesen eines Tagebuchs, das auch disparate, aus dem Moment entstandene Eindrücke verschriftet, um in der späteren Re-Lektüre aus den Bruchstücken vielleicht eine Einheit synthetisieren zu lassen. Die Karlsruher Ausstelung versucht diese Dynamik einzuholen, indem sie die Kunstaustellung durch eine Ausstellung von Selfies begleitet, die gemeinsam mit Schülern gestaltet wurde – also denjenigen, die man als die hauptsächlich Selfies Praktizierenden ansieht. Die Unterscheidung der Kunst zu Selfies wird damit in gedämpfter Form reproduziert. Auch wenn das Selfie eine ästhetisch gestaltete Bildform ist – was bringt es eigentlich reflexhaft jede neue Bildform in den Zusammenhang des Kunstsystems zu setzen? Der Nachweis wäre noch zu erbringen.

Man mag die kunsthistorische Nobilitierung des Selfies unnötig oder gar kontraproduktiv finden, aller Voraussicht nach wird sie die Alltagspraxis, die so oder so weiterläuft, kaum tangieren. Das ist beruhigend. Dass etwas anscheinend so Banales wie Selfies auf die Museumswände findet, ist allerdings immer noch irritierend und Anlass für massenmediale Aufmerksamkeit. Sogar dem Nachtjournal der ARD war die Ausstellung in Karlsruhe einen Filmbericht wert.

Auf jeden Fall bieten die aktuellen Ausstellungen Futter, um über das Selfie nachzudenken, und eine Alternative zu seiner kulturpessimistischen Verurteilung, die André Gunthert jüngst so prägnant analysiert und kritiisiert hat. Insofern sollte man sich doch über und auf die Ausstellungen freuen. Und gerne auf dieser Seite über sie berichten.

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