Das Ende des Fotoapparats im Smartphone?

Camera
„Simple photographic apparatus“ aus: Gaston Tissandier, A History and Handbook of Photography, London 1876.

Unter der Überschrift „Einfach zu kompliziert“ wird in einem Artikel von Helmut Martin-Jung über eine Absatzkrise von digitalen Kameras berichtet. Von 6,1 Millionen verkauften Digicams (wohl nur in Deutschland) im Jahr 2014 soll die Zahl im vergangenen Jahr auf 4,6 Millionen zurückgegangen sein. 2010 sollen es sogar noch 8,6 Millionen verkaufte Digicams gewesen sein. Bis 2010 scheint die Welt für die Kamerahersteller noch in Ordnung gewesen zu sein, denn bis dahin ist die Zahl verkaufter Digitalkameras stetig angestiegen (bis auf 140 Mio. weltweit) und hat ihrerseits die analogen Kameras vom Markt verdrängt. Während nun die Zahl geknipster Bilder anscheinend immer weiter zunimmt, nimmt die Zahl der selbstständigen Kameras kontinuierlich ab. Diese Tatsache wird wohl zurecht mit dem Aufstieg des Smartphones zusammengebracht. Denn der Kameramarkt, der in Millionen rechnet, ist natürlich nicht derjenige der professionellen Nutzer und Nutzerinnen (die weiter auf technisch aufwändige Kameratechnik angewiesen bleiben), sondern der der Amateure, vor allem aber der Knipsenden. Das zeigt sich auch daran, dass zunächst die Kompaktkameras vom geschilderten Rückgang betroffen waren und erst jüngst die hochwertigen Spiegelreflexkameras.

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„Share your life in photos“ – Aufforderung auf der flickr.com-Homepage im Juli 2014; Screenshot von flickr.com

In diesem Blog geht es natürlich nicht darum, welche Sorgen die Kamerahersteller umtreiben, sondern was aus diesen Entwicklungen für die aktuelle fotografische Praxis abzulesen ist. Lange Zeit stand ich der These, dass im Computer alle Medien nicht nur (medien-)theoretisch, sondern auch für die User konvergieren, sehr skeptisch gegenüber, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Vorzüge der Einzelmedien so einfach aufgegeben würden. Insbesondere der Erfolg des Smartphones hat mich eines Besseren belehrt: Der Vorteil der Mobilität hat es nun wirklich attraktiv gemacht, die gesamten medialen Praktiken – zumindest dann, wenn man nicht zu Hause ist – in einem Gerät zusammenzuziehen. Mit dem Smartphone werden ‚Briefe‘ geschrieben, Informationen recherchiert und sogar Texte fürs Seminar vorbereitet, es wird Musik gehört und gekauft, es werden Filme angesehen usw. usf. – und eben: es werden Fotos gemacht, betrachtet und gezeigt, gespeichert und verwaltet, vor allem aber auch verschickt und ins Netz hochgeladen. Die mittlerweile von mehr als 300 Millionen angemeldeten Usern genutzte Plattform Instagram, die für die Nutzung mit dem Smartphone konzipiert und optimiert ist, belegt überdeutlich, wie erfolgreich der Imperativ des bildförmigen Berichtens über das eigene Leben (Share your life!) ist. Besteht das vorwiegende Interesse des Fotografierens im instantanen Teilen von Bildern, dann ist klar, dass es dazu keine separaten Fotoapparate mehr braucht, ja, dass diese dem Ziel des Teilens hinderlich sind, weil die meisten wenn überhaupt, dann nur per W-LAN mit dem Internet zu verbinden sind.

Dass Smartphones immer verbreiteter und deren Kameras immer besser geworden seien, könne jedoch, so zumindest der im Artikel zitierte Branchenexperte Heino Hilbig, nicht allein die Krise der Fotoapparate erklären. Eine Begründung: Die Kamerahersteller „produzierten zum größten Teil noch immer Geräte, die auf analogen Konzepten basierten. Anders gesagt: Die Bilder werden zwar digital gespeichert, aber das Fotografieren mit den hochwertigeren Kameras ist noch immer ähnlich kompliziert wie mit Spiegelreflexkameras aus den 1970er-Jahren.“ Die These ist zwar anregend, doch trifft sie wirklich zu? Mit den anspruchsvollen Kameras war früher wie heute der Anspruch verbunden, das Bild möglichst autonom zu gestalten. Der Verzicht auf das eigene Fotolabor hat diesen ambitionierten Kreis von Fotografiepraktikern und -praktikerinnen eher vergrößert. Die einfachen digitalen Kompaktkameras hingegen erscheinen auch nicht komplizierter als die entsprechenden Fotoapparate der Vergangenheit. Doch die Bilder der einfachen Kameras sind in der Tat kaum besser als die ambitionierterer Smartphones. Wer schon über ein Smartphone verfügt, muss eben nicht noch in eine separate Kamera investieren oder ein zusätzliches Gerät mit sich führen, um seinen Alltag bildlich zu dokumentieren.

Geändert hat sich allerdings gegenüber der analogen Knipserpraxis, wie brauchbare Bilder hergestellt werden: Die Sicherung der Schärfe durch Vergrößerung der Schärfentiefe, indem also Weitwinkeloptiken zum Einsatz kamen, gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts. Was sich geändert hat ist die ‚Intelligenz‘ der Apparate bei der Belichtung. Um den Erfolg der Knipser herzustellen, wurden die Farbfilme früher so hergestellt, dass sie auch bei schlechter Belichtung noch – zu Erinnerungszwecken – akzeptable Bildergebnisse brachten. Heute gibt es – selbst wenn kaum noch Licht vorhanden ist oder starke Kontraste herrschen – eigentlich nur noch gute Bilder, weil gerade die Kompaktkameras zwischen der Aufnahme und der Erstellung der Datei so viel rechnen, dass keine flauen Bilder mehr resultieren. Auf dem Display einer Digicam kann man das beobachten, wenn die Berechnung mal aufwendiger ist. Es würde lohnen einmal darüber nachzudenken, welche Normen einer guten Fotografie hier eigentlich in der Programmierung digitaler Fotoapparate implementiert sind – denn diese werden dann in kollektive Erwartungen umgeschrieben, wie gelungene Bilder auszusehen haben. Da Smartphones, schon aufgrund ihrer Optik noch mehr auf das Schönrechnen setzen müssen, bedeutet ihr Sieg über die Fotoapparate zugleich eine noch stärkere Delegierung des guten Bildes an technische Automatismen. Dass teurere Kameras gekauft werden, hängt nicht zuletzt mit dem Wunsch zusammen, diese Automatismen des ‚guten‘ Bildes auszuschalten. Kurioserweise bezahlt man also viel Geld, um eigentlich weniger zu bekommen.

Nachdenklich stimmt eine weitere These Hilbigs: „‚Früher konnten sie in fast jedem Geschäft einen Film kaufen, der in ihre Kamera gepasst hat. Und sie konnten die Filme weltweit entwickeln lassen.‘ Heute aber beginne nach einem Urlaub ein anstrengender Hürdenlauf. Die Bilder müssen zunächst auf den Computer geladen und dann die guten herausgesucht werden, man muss sie dann zu einem Labor schicken oder selbst ein Fotobuch gestalten.“ Auch hier fragt sich, wie gewichtig diese Gegenüberstellung in ihrer pauschalen Form ist. Auch heute hat man die Wahl die Bilder direkt von der Kamera aus an einem Terminal, zumeist in einer Drogerie, auf Fotopapier auszudrucken oder einen Chip im Fotogeschäft abzugeben. Und früher landeten die Aufnahmen oft, um Beschriftungen, eingeklebte Postkarten und Souvenirs ergänzt, in einem Fotoalbum. Dass die digitalen Knipser mehr Aufnahmen anfertigen, aus denen immer wieder ausgewählt werden muss, hängt ursächlich mit der kostengünstigen Speicherung auf Chips, aber doch nicht mit der fehlenden Nutzerfreundlichkeit des Aufnahmeapparats zusammen. Das Aufkündigen des Fotografierens als einer apparativ spezifischen Praxis könnte aber in der Tat ein Indiz dafür sein, dass digitale Aufnahmen immer seltener in ausgedruckten Bildern materialisiert werden, sondern im digitalen Format verbleiben. Die Bilder landen eben nicht mehr dauerhaft in einem Album, sondern auf einer Internetplattform, wo sie vielleicht kurzfristig häufiger gesehen werden, aber längerfristig vielleicht bedeutungsloser werden. Was dies bedeuten könnte – nicht muss -, formuliert „Foto-Enthusiast Hilbig“ zum Schluss des Zeitungsartikels: „dass unsere Generation zwar die meisten Fotos macht, aber die wenigsten hinterlässt.“

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