Themenheft der Fotogeschichte: Abstrakte Fotografie

Das aktuelle Themenheft der Fotogeschichte (H. 133, Jg. 34, 2014), herausgegeben von Kathrin Schönegg und Bernd Stiegler, segelt unter dem Stichwort „Abstrakte Fotografie“. Damit ist es ein aus medienwissenschaftlicher Perspektive äußerst interessantes Thema aufgegriffen, das in der Forschung in den letzten Jahren etwas aus dem Blick geraten war und hier zurecht wieder hervorgeholt wird. Die Annahme, es gebe so etwas wie ‚abstrakte Fotografie‘, stellt zur Debatte, was Fotografie überhaupt als Medium ausmacht. In differenztheoretischer Perspektive ist der Gegenstandsbezug der Fotografie ja generell als unhintergehbar beschrieben worden. Die Abstraktion wäre damit, um eine Formulierung Kracauers abzuwandeln, „unfotografisch“. Teilt die Abstraktion damit eigentlich das Schicksal mit dem Piktorialismus, dessen Manipulationen des Bildes in der Dunkelkammer sich an der Optik und den Verfahren der bildenden Kunst (hauptsächlich der Druckgrafik) orientierten, um auf diesem Weg die Fotografie kunstfähig zu machen? Das fotohistorische Urteil hat dies vielfach – meiner Ansicht nach kurzschlüssig – als ästhetisierende Verschleierung des eigentlichen Wesens der Fotografie verbucht. In dieser Hinsicht ist es aufschlussreich, dass das Heft sich eingehend den Verfahrensweisen widmet – und zwar in einer sehr breiten historischen Auffächerung, die von Henry William Fox Talbot über psychologische Experimente bis hin zu Wolfgang Tillmans reicht. Wie kann, so lässt sich hier studieren, das technische Bild – an dem wie Barthes formulierte, der Referent ‚klebt‘ – überhaupt abstrahieren? Diese Konkretisierung wird im zweiten Teil des Hefts angereichert. Es handelt es sich um einen Bildteil, ergänzt um kurze Statements, der aktuelle „Positionen der Abstraktion“ (in S/W) vorstellt.

In jedem Fall ein lesens- und anschauenswertes, ein anregendes Heft, das zu medientheoretischen Überlegungen auffordert. Das Projekt der fotografischen Abstraktion entlarvt nämlich, indem es sich von den fast schon selbstverständlichen Zuschreibungen ans Medium Fotografie abkehrt, die Bestimmung eines Wesens eines Mediums als eine diskursive Zurichtung und problematisiert damit das Vorhaben, das Wesen der Fotografie, ja eines jeden Mediums, überhaupt festzulegen. Umgekehrt, das soll auch nicht unterschlagen werden, fordert die Fotografie ihrerseits den Begriff der Abstraktion heraus.

 

Inhalt

I. Zur Geschichte und Epistemologie der abstrakten Fotografie

Steffen Siegel: Talbots fotografischer Raum

Gottfried Jäger: Wille zur Form. Zur Konfiguration formgebender Konzepte im fotografischen Bild 1916 bis 1968

Kathrin Schönegg: Wolfgang Tillmans: Reprise der Abstraktion am ‚Ende des fotografischen Zeitalters‘

Stefan Rieger: Überblendung und Verdichtung. Zur Epistemologie der abstrakten Fotografie

II. Positionen der Abstraktion

Floris M. Neusüss

Karl Martin Holzhäuser

Andreas Müller-Pohle

Jörg Sasse

Michael Reisch

Marco Breuer

Wolfgang Tillmans

Adrian Sauer

Christiane Feser

 

 

 

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